Jede Reise kann auch eine Reise zu uns selbst sein – und in keiner anderen Sphäre wird das wohl so spürbar wie in der erotischen Liebe. Unser Begehren bewegt sich stets zwischen zwei Kräften: der Sehnsucht nach Freiheit und dem Wunsch nach einem Heimatgefühl. Wir wollen uns treiben lassen, das Unbekannte erkunden, und doch suchen wir auch ein Gegenüber, das uns Halt und Sicherheit gibt. Doch wer bin ich als begehrendes Wesen – für mich allein und innerhalb einer Liebesbeziehung? Und kann Liebe Bestand haben, wenn das Vertraute sich aufzulösen scheint?
Himmel über der Wüste (The Sheltering Sky, 1990), basierend auf dem Roman von Paul Bowles (auch sehr zu empfehlen!), erzählt die Geschichte eines Ehepaares, das dem Gewöhnlichen entfliehen will. Zehn Jahre Beziehung haben ihre Spuren hinterlassen, und so suchen Port und Kit in der Weite der Sahara nach Intensität – nach etwas, das ihr Begehren neu entfachen könnte. Doch die Wüste ist nicht nur Kulisse, sie ist Metapher: für eine Leere zwischen ihnen, für das Unbekannte in sich selbst und im anderen.
Fremde und Heimat – die Pole des Begehrens
Was passiert mit einer Liebe, wenn die gewohnte Struktur verschwindet? Wenn wir das Vertraute verlassen, finden wir einander dann neu oder verlieren wir uns endgültig? Port und Kit geraten in einen Raum, in dem Gewissheiten brüchig werden. Die Fragen, die sich ihnen stellen, sind universell: Wie sehr lasse ich mich auf das Fremde im anderen ein? Was, wenn mich mein eigenes Begehren verunsichert? Und was, wenn die Lust meines Partners mich irritiert?
Erotik ist kein fester Zustand, sondern ein Spiel zwischen Nähe und Distanz, zwischen Wissen und Geheimnis. Unser Begehren ist wandelbar; doch wie viel Bewegung hält eine Beziehung aus? Und wenn wir uns als Paar individuelle Freiheiten und Suchbewegungen zugestehen, werden diese Freiheiten ausgekostet und können sie die Fundamente der Beziehung ins Wanken bringen oder nähren sie das Liebesfeuer?
Zwischen Leere und Lebendigkeit
Was Himmel über der Wüste eindrücklich zeigt, lässt sich auch jenseits der Leinwand beobachten: Begehren ist kein Zustand – es ist ein feines, lebendiges Spannungsfeld. Es will nicht erfüllt, sondern verstanden, gepflegt und immer wieder neu gespürt werden.
Gerade in langjährigen Beziehungen stellt sich nicht nur die Frage ob wir noch begehren, sondern wie. Wie viel Fremdheit lassen wir zu? Wie viel Sicherheit geben wir einander? Und wie viel Spielraum gönnen wir der Erotik?
Sexologisch betrachtet beginnt die Beschäftigung mit dem Begehren nicht dort, wo etwas fehlt, sondern dort, wo Raum entsteht. Für Fragen, für Fantasie, für neue Formen der Nähe.
Der Film bleibt dabei ein poetischer Spiegel. Doch das eigentliche Abenteuer beginnt, wenn wir uns selbst und einander neu begegnen: nicht in der Wüste, sondern mitten im Alltag.
Impulse zur Reflexion:
- Wann habe ich zuletzt etwas über mein eigenes Begehren gelernt?
- Wo fühlt sich meine Beziehung sicher – und wo spannend an?
- Und was könnte passieren, wenn wir einander wieder mehr überraschen?